Wer sich der Liebe vertraut

«Drei Abschnitte aus Goethes Leben» lautet der Untertitel, den das Buch trägt.

Die drei Abschnitte handeln von Charlotte von Stein, vom Erlebnis der antiken Welt in Italien, von Christiane Vulpius entscheidende Stufen eines Daseins, das uns Rückschauenden so gern als von olympischer Ruhe und Überlegenheit geprägt erscheint, während es doch in Wirklichkeit ein menschlich tragisches, von Kampf, Unruhe, Überschwang, Zerrissenheit und stetem Suchen erfülltes Leben war. Ein Leben, das bestanden und gemeistert werden wollte, so wie jedem von uns ein Leben zur Bemeisterung aufgegeben ist. Von dieser Seite, die uns über den Menschen Goethe den Zugang zu dem Genie Goethe finden lässt, ist die Gestalt des Dichters kaum je gezeigt worden. Immer schwebte er hoch über uns, unerreichbar in den Wolken, eine Feiertagserscheinung, die nichts mit unserem Alltag zu schaffen hat. Mary Lavater aber holt ihn, mit allem gebührenden Respekt, zu uns auf die Erde herab, lässt uns teilhaben an seinem Geschick und stellt ihn mitten in unsere Welt als ein mögliches Vorbild und Beispiel mindeste zu nehmen von seiner ehrohne ihm das furchtgebietenden Grösse. Und das gerade ist das Einmalige und Verdienstvolle ihrer Biographie: dass sie uns Goethe als Mitmenschen nahebringt, einen durchaus nicht papiernen, sondern durchund durchlebensvollen Goethe, den wir nach der Lektüre mit völlig neuen Augen zu schauen vermögen.