Die Insel Sachalin

» Was Sachalin betrifft, so täuschen wir uns beide, Sie aber wahrscheinlich mehr als ich. Ich fahre in der festen Überzeugung, dass meine Reise weder für die Literatur noch für die Wissenschaft einen wertvollen Beitrag erbringen wird: dazu reichen weder meine Kenntnisse noch meine Zeit, noch meine Ambitionen. Ich habe nicht die Pläne eines Humboldt Ich will, wenn es geht, 100–200 Seiten schreiben und damit ein wenig an meine Medizin entrichten, der gegenüber ich, wie Ihnen bekannt ist, ein Schwein bin... Ich bin noch nicht gefahren, aber ich habe dank den Büchern, die ich jetzt unbedingt habe lesen müssen, vieles erfahren, was jeder unter Androhung von 40 Peitschenhieben wissen müsste und was ich vorher aus Unbildung nicht gewusst habe.

Ausserdem glaube ich, diese Reise ist eine ununterbrochene Arbeit von einem halben Jahr, physisch und geistig, ich brauche das, weil ich Ukrainer bin und schon anfange, faul zu werden. Man muss sich trainieren. Meinetwegen ist meine Reise eine Lappalie, Eigensinn, Laune, aber überlegen Sie und sagen Sie mir, was verliere ich, wenn ich fahre? Zeit? Geld? Ich werde Entbehrungen erleiden? Meine Zeit kostet nichts, Geld habe ich sowieso nic, und was die Entbehrungen betrifft, so werde ich 25-30 Tage im Pferdewagen fahren, mehr nicht, die ganze übrige Zeit werde ich an Deck eines Dampfers oder im Zimmer sitzen und Sie ununterbrochen mit Bricfen bombardieren. Meinetwegen mag mir diese Reise gar nichts bringen, aber sollte es wirklich während der ganzen Reise nicht die 2-3 Tage geben, an die ich mein Leben lang denken werde mit Begeisterung oder Bitterkeit? Usw, usw. So ist das, mein Herr. All das ist wenig überzeugend, aber auch Sie schreiben doch genauso wenig überzeugend. Zum Beispiel, Sie schreiben, Sachalin brauche niemand und sei auch für niemanden von Interesse. Sollte das wahr sein? Sachalin nicht brauchen und uninteressant finden kann nur eine Gesellschaft, die die Menschen nicht zu Tausenden dorthin verbannt und die nicht Millionen dafür ausgibt... «

Aus einem Brief Čechovs an seinen Verleger Suvorin