Der achte Schöpfungstag

Neunzehn Jahre nach den «lden des März», vierzig Jahre nach der «Brücke von San Luis Rey» tritt Thornton Wilder mit einem neuen Roman hervor: einem Alterswerk, hell von Weisheit, die erkennend zurück- und vorausblickt. Sparsame Mittel, gelassene Darstellung machen die Weite des Horizonts, die Fülle der Gestalten und Geschehnisse anschaulich und greifbar.

Zugleich aber erzeugt dieses meisterliche Erzählen hohe Spannung – sie gibt den Leser nicht frei. Vordergründig ist diese amerikanische Saga eine Kriminalgeschichte: Im Frühsommer des Jahres 1902 wird in Coaltown, einer kleinen Bergwerksstadt im südlichen Ilinois, John Barrington Ashley von einem leichtfertigen Gericht des Mordes an seinem Vorgesetzten und Freund, dem Grubendirektor Lansing, für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Auf der Fahrt zur Hinrichtung befreien ihn maskierte, waffenlose Unbekannte aus dem bewachten Zug; seine Familie, seine Stadt sehen ihn nicht wieder. Lang ist Ashleys Fluchtweg bis zur Kupfermine in den chilenischen Anden und dem Schiffsuntergang im Karibischen Meer, stolz der Kampf seiner Frau und seiner Kinder ums Überleben, um ein neues Leben und die Selbstbestätigung.

Kreuz und quer laufen die Schicksalsfäden und vereinigen sich.

In Rückblenden und Perspektiven des Künftigen wird Stück um Stück, durch drei, vier Generationen, die Familiengeschichte der Ashleys wie der Lansings ans Licht gehoben, eine gerade dank der Verschiedenartigkeit ihrer Komponenten sehr amerikanische Geschichte; die Lebensläufe dreier Ashley-Kinder, denen das elterliche Erbe zum Segen wird, sind sogar amerikanische Success stories, bestimmt vom Willen wie vom Zufall. Am Ende begreifen wir, welchen geheimen Sinn das Leben des John Barrington Ashley hat, der überall Gutes stiftet; am Ende werden wir über den Mord aufgeklärt und erfahren, wer Ashleys fromme Befreier waren.