Das Schmettern des gallischen Hahns

Reportagen aus Frankreich

Meienberg schimpft auf die Pariser Korrespondenten unserer grossen Zeitungen: Sie seien lediglich Kopisten, die das abschrieben, was ihnen die offiziellen Pariser Zeitungen täglich auftischten; davon zum Beispiel, wie der Pariser wirklich lebe, hätten sie keine Ahnung. Dann führt er vor, wie lebendige Reportagen sein können, die aufgrund eigener Anschauung, mühsamer Recherchen und Interviews mit Hunderten von Menschen entstanden sind. Er beginnt mit der Beschreibung seines Standortes, der Rue Ferdinand Duval, Paris 4 e, «120 Schritte lang, 8 Schritte breit, lauter kleine Ghettos»

mit Tunesiern, Juden, Algeriern, die in schäbigsten Wohnungen leben («Plumps-Klosette aus dem 19. Jahrhundert, je eins für sieben Wohnungen»). Meienberg hat die Mai-Revolte der Pariser Studenten miterlebt. Unter dem Titel «Das schöne Brodeln» berichtet er darüber als engagierter Revolutionär. Diese Essays sind Stimmungsdokumente, Zeugnisse der Leidenschaft, mit der damals die studentische Jugend rebellierte. Meienberg denkt über den «beharrlich verharrenden Kleinbürger» nach, indem er zum Beispiel ein Porträt der Madame Soleil malt, die an Radio Europe I jeden Tag zwischen vier und fünf Millionen Zuhörer fand, oder indem er einen Exorzisten besucht, der enormen Zulauf hat. Ob Meienberg den französischen Rassismus analysiert, ob er über die Pariser Stadtplanung schreibt oder ob er uns sein mühsam zusammengetragenes Material über den Heroinhandel in Marseille unterbreitet: immer geht er von beobachteten, erlebten Details aus, immer lässt er uns Frankreich wegen seiner linken Aussenseiterstellung verfremdet, oft auch verfälscht, aber so sehen, als wären wir dabei. Dank seiner Fähigkeit, mit der Sprache Leben einzufangen, erfahren wir bei spannender Lektüre sicher nicht «die Wahrheit», aber einige Wahrheiten, über Frankreich.