Anne Bäbi Jowäger

» Wir sind, von unserem heutigen Standort aus, vielleicht vor keinem Dichtwerk ebenso behindert wie vor demjenigen Jeremias Gotthelfs. Er ist ein Homer der Bauerndichtung genannt worden. Und das Stichwort ist schnell in jedermanns Mund, wenn rühmend, mit geziemender Hochachtung von der Grösse dieses Erzählers gesprochen wird. Aber das Gewicht liegt weniger auf Homer <, vielmehr auf dem Wort Bauerndichtung. Und das ist im modernen Literaturgespräch ungefähr das Schlimmste, was man von Kunst sagen kann: Bauerndichtung, Heimatdichtung, Schollenliteratur.

Jeremias Gotthelf gehört zu den Königen auf dem Parnass, oder wie immer man die Höhe nennen will, auf welcher die erlauchten Geister der Dichtung ihren Sitz haben. Man zählt ihn unbedenklich zu den Wenigen, die im ehrwürdigen Tauschgeschäft, das wir Weltliteratur nennen, die schwer wiegende Stimme haben. Mit einem Wort: Das Gerücht Jeremias Gotthelf ist beträchtlich. Und bleibt es nicht beim Gerücht? Ich meine: Sind es viele, denen daran liegt, dieses literaturgeschichtliche Gerücht durch eigene Begegnung mit dem Dichtwerk in ein Erlebnis zu verwandeln? «

Werner Weber